Ein Weg, einen Konflikt zu lösen, ist, ihn zusammen zu überwinden.
Dann kann man ihn immer noch aus dem Weg räumen. – Joachim Panten
Im Oktober hatte ich drei Wochen Zeit meine Ferien zu geniessen. Der erste Arbeitstag begann mit einem Kunden-Meeting. Ich etwas zu spät, da die S-Bahn eine technische Störung hatte.
Der Auftrag klang sehr interessant und reizte mich auch persönlich. Ein wichtiges Kriterium war ein fester Liefertermin. Einen Tag später geliefert, dann wären zwar die Features erfüllt, jedoch hätte das Lieferergebnis für den Kunden einen enormen Wertverlust zur Folge gehabt. Zuerst wollte ich etwas über die Technologie dieses Projekts schreiben. Da in erster Linie aber die Teamleistung und das Abweichen von organisatorischen Prozessen massgeblich für den Erfolg waren, widme ich mich diesem Thema.
Wie bereits erwähnt begann es mit einem Kundenmeeting, in dem wir die Anforderungen besprachen. Das Ziel war sehr sportlich, wir hatten nur sieben Tage Zeit. Es stand sehr schnell fest, dass wir noch einen Workshop für tiefere Details benötigten. Der Kunde schlug uns vor, diesen in einem Werk seines Unternehmens zu machen. Allein diese Entscheidung war schon Gold wert. Als wir im Workshop sehr viele Fragen stellten, organisierte er kurzerhand einen Rundgang durch das Werk, der viele unserer Fragen beantwortete, neue Ideen lieferte und den Aufwand auf beiden Seiten stark reduzierte. Mit diesen Erkenntnissen wurden sehr viele Annahmen klarer. Innerhalb dieses Workshops definierten wir die Lieferergebnisse und das weitere Vorgehen. Es war im Übrigen auch mein erstes Kundenprojekt in dem es notwendig und wichtig war, die Resultate und Features täglich auszuliefern.
Nach dem Workshop machten wir intern eine Auslegeordnung. Als erstes füllten wir unser Backlog mit den Aufgaben, dann stand die Einarbeitung meines Teamkollegen an. Er benötigte einen Zugriff. Wie es Murphy so wollte, gab es durch eine Infrastrukturumstellung technische Probleme. Mein Kollege musste länger als gedacht auf seinen Zugang warten. Unter Zeitdruck sind das denkbar schlechte Vorzeichen und wir hatten unseren ersten Sachkonflikt. Unser Plan musste das erste Mal angepasst werden, denn eine Projektverzögerung war nicht tolerierbar.
Dann kamen wir zum nächsten Punkt, da wir in der Cloud arbeiteten und eine Anwendung für einen Service berechtigen mussten, war es notwendig eine ClientID zu erstellen. Dieser Service ist über AD FS mit dem Unternehmen verknüpft. Als ich die ClientID erstellen wollte, begrüsste mich eine schöne Fehlermeldung die mir mitteilte: Du darfst das nicht! Ich fragte einen Kollegen was zu tun wäre, die Antwort war: Eröffne ein Ticket. Das tat ich mit der Bemerkung der hohen Dringlichkeit, wobei SLA’s diese Dringlichkeit anders auslegen können. Die Antwort kam mit der Bemerkung, dass ist nicht möglich, die dazu notwendigen Berechtigungen können mir nicht erteilt werden. Da hatten wir auch schon den zweiten Sachkonflikt! Wie gesagt, wir hatten einen festen Liefertermin und der Mitarbeiter gab mir keine Berechtigung.
In solchen Momenten muss ich meine Leidenschaft abstellen, damit sich das nicht zu einem Beziehungskonflikt aufschaukelt. Warum reagiert der Mitarbeiter so, fragt man sich da und die Antwort lautet: Er macht seinen Job und hält die Prozesse ein. Das ist seine Aufgabe, daran wird er gemessen und in Mitarbeitergesprächen bewertet. Solche Prozesssituationen können aber auch die Ausgangslage für Insellösungen in einer Organisation sein. Vor nicht allzu langer Zeit hätte bereits dieser Konflikt bei mir das Potential eines Beziehungskonflikts gehabt, denn es geht hier um Wertschöpfung. Mittlerweile kann ich dies besser einordnen, sodass mir das nicht mehr so schnell passiert.
Ein Buch das mir dazu einen Denkanstoss lieferte, war „Zurück an die Arbeit“ von Lars Vollmer
von Lars Vollmer. Darin beschreibt er unter anderem die drei Strukturen der formellen (zum Beispiel Prozesse, Rahmenbedingungen und Gesetze), der informellen (zum Beispiel Kommunikation) und wertschöpfenden (als Beispiel der Kunde) Ebene, die in jeder Organisation anzutreffen sind. Lars Vollmer bemängelt darin die Ausgewogenheit der Strukturen zueinander, und dass in grossen Organisationen die formelle und informelle Ebene auf der einen Seite, die wertschöpfende Ebene aber auf der anderen Seite steht, anstatt Hand in Hand zu gehen. Das erzeugt einerseits Spannungen, aber auch Verschwendung. Diese Spannungen gilt es korrekt einzuordnen, damit daraus nicht unnötige Beziehungskonflikte entstehen oder die Arbeitsmoral leidet, die in freizeitorientierter Schonhaltung endet.
Wie ging es nun weiter in unserem Projekt? Am Ende dieser Abklärungen stellte uns der Kunde die Cloud-Infrastruktur bereit und wir realisierten auf seiner Umgebung. Dieser Entscheid vereinfachte unter anderem auch die tägliche Auslieferung enorm. Da wir aber nun doch einiges an Zeit für die formellen Dinge verbraucht hatten, wollte ich einen Kollegen aus dem Verkauf ins Boot holen, der die weiteren Abklärungen mit dem Kunden übernehmen sollte. Er war bereit diese Aufgabe zu übernehmen, bat mich jedoch seine Managerin zu informieren. Der nächste Schritt war also die Information und dabei auch gleich den Manager auf CC zu nehmen, dessen Abteilung gemäss Prozess für unser Projekt formell verantwortlich ist. Dies führte zu einem dritten Sachkonflikt, der aber auch gelöst werden konnte. Am Ende des Projekts hatten wir allein fünf Sachkonflikte die nichts mit der Wertschöpfung, wohl aber mit den formellen und informellen Strukturen der Organisation zu tun hatten. So hatten wir ein Team zusammen, dass sehr motiviert und fokussiert an der gemeinsamen Realisierung arbeitete. Ein Vorteil war die Prozessorientierung des Teams, es konnte alle Aufgaben gemeinsam mit den Kunden definieren und eigenverantwortlich abarbeiten. Dadurch gab es in diesem Projekt, entlang der Wertschöpfung, keine Organisationsbrüche. Auf der formellen Strukturebene der Organisation hatte jedoch jedes Teammitglied einen anderen Vorgesetzten. Die Beseitigung der Brüche war, neben der Teamleistung, ein weiterer positiver Faktor den Liefertermin einhalten zu können.
Was hat das nun mit der digitalen Transformation zu tun? Einiges. Die Medien wecken Erwartungen, die so nicht erfüllt werden können. Sie suggerieren dir: Mit dieser Technologie bzw. diesem Produkt und einen neuen Führungsstil, als Beispiel Holokratie oder einer neuen Methodik wie SAFe oder mehr Verantwortung ist die Digitale Transformation ein Kinderspiel. Dann gibt es die andere Philosophie: Mehr vom Alten, was am Ende auch nicht funktionieren kann. Im Wort Transformation steckt die eigentliche Herausforderung. Es müssen Muster und Strukturen überarbeitet und angepasst werden, dass geschieht nicht ohne Reibungsverluste. Ein neuer Ansatz soll dabei die Bimodale IT sein, in der Teams in klassisch und agil aufgeteilt werden. Die agilen Teams sind dabei für schnelle Projekte zuständig, sozusagen auf der Überholspur unterwegs. Die klassischen Teams für die Stabilität und Zuverlässigkeit. Die Idee ist interessant, hat in unserem Fall leider nicht funktioniert, es kam gleich zu Beginn zu einem Stau auf der Überholspur. Unser Resultat ist zudem stabil und zuverlässig, es beinhaltet einige Konzepte zur Standardisierung und Automatisierung.
Für mich bedeutet digitale Transformation aktuell:
- Stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema Konflikte. Meret Oppenheim sagte es einmal sehr treffend: „Jede wirklich neue Idee ist eine Aggression“. Bei disruptiven Innovationen ist das nicht anders. Ich benötige also Werkzeuge im Umgang mit Konflikten.
- Meine Leidenschaft dort abstellen, wo das Konfliktpotential am höchsten ist. Es gibt Situationen da ist die Zuschauerperspektive (mit Popcorn und Cola) energieschonender und liefert bessere Lösungsansätze.
- Mir bewusst darüber sein, wie die formellen, informellen und wertschöpfenden Strukturen einer Organisation aufeinander bzw. gegeneinander wirken können.
- Mich auf die Zusammenarbeit mit Personen konzentrieren, die an einem gemeinsamen Ziel arbeiten und auftretende Hindernisse überwinden wollen anstatt aufzugeben.
- Die Dysfunktionen in einem Team erkennen und lösen können, falls dies möglich ist.
- Intensives Prototyping im Vorfeld, um die Vorteile, welche die neuen Technologien versprechen, zu verifizieren. Es hilft mir Risiken besser einordnen zu können.
- Agiles Vorgehen. In solchen Projekten muss auch das Business im Boot sein, dazu zählt auch die aktive Mitarbeit des Kunden.
- Auf die Prozessorientierung zu achten, damit entlang der Wertschöpfung keine zeitraubenden Brüche entstehen.
- Regelmässig zu reflektieren und meine Arbeitsmethodik anzupassen, wenn nötig.
- Probleme und Bedenken in den Strukturen zu eskalieren, aber auch mit Alternativen weiterfahren. Manchmal gehört dazu das Abschliessen mit dem Thema, auch wenn es keine gemeinsame Lösung gibt. Das lässt sich aus meiner Sicht sehr gut mit der Fragestellung: „Willst Du, dann will ich auch“ umkehren. So kann ich besser meine Konsequenzen ziehen.
Was bedeutet digitale Transformation für dich? Hast Du die digital transformierte eierlegende Wollmilchsau bereits gefunden?
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