Home-Office und Homeschooling – Wie soll das gehen?

Gastbeitrag von Thirza Schneider

Thirza Schneider ist gelernte Journalistin und Sozialpädagogin. Sie ist Betreiberin des Blogs http://www.swisshomeschoolfamily.org. Seit 2019 ist Sie Präsidentin des Vereins Bildung zu Hause Bern. Ihre Kinder (13 und 11 Jahre) unterrichtet sie seit 2014 zu Hause. In Ihrer Freizeit engagiert sich Thirza gerne für Asylsuchende und für Strassen- und Waisenkinder in Kirgistan. Momentan absolviert sie einen CAS in Traumapädagogik und -beratung.


Seit einer Woche leisten Eltern in der Schweiz, Deutschland und Österreich und in vielen Ländern auf der ganzen Welt Unglaubliches! Sie versuchen, zu Hause ihre Arbeit weiterzumachen, während sie gleichzeitig ihre Kinder im Fernunterrichtsprogramm der Schule begleiten. Das ist ein Spagat, der bei weitem nicht einfach ist! Ich habe für euch mal ein paar Eltern kontaktiert, die seit Jahren sowohl arbeiten (auswärts oder im Home-Office), als auch ihre Kinder zu Hause bilden. Diese arbeitenden Homeschool-Eltern sagen euch, wie es für euch vielleicht auch funktionieren könnte.

HABT GEDULD

Auch arbeitende Homeschool-Eltern schafften den Spagat zwischen der Arbeit und dem Homeschooling nicht von heute auf morgen. Sie brauchten Zeit. Sie mussten flexibel sein und sich immer wieder auf neue Situationen einlassen. Auch ihr braucht Zeit. Habt deshalb Geduld mit euch selbst, eurem Partner und euren Kindern. Seid realistisch und habt keine zu hohen Erwartungen – an euch alle. „Die Kinder müssen jetzt viel verarbeiten, die Sozialkontakte leiden massiv,“ sagt Evelin, 46, mit einem Kind in der 4. Klasse. „Ich würde langsam einsteigen, mit den Kids besprechen, wie sie sich das vorstellen können, was sie alleine können, wobei sie die Hilfe ihrer Freunde brauchen. Für den Rest würde ich als Elternteil Unterstützung anbieten. Keinesfalls sollten Eltern versuchen, den Lehrer zu ersetzen. Das funktioniert daheim nicht, das merken auch Lehrer, die homeschoolen.“

JEDER SEINEN PLATZ

Schaut, dass jeder und jede irgendwie seinen/ihren eigenen Platz hat, auch wenn das zum Teil am gleichen Tisch sein muss (z.B. quer gegenüber einander, damit ihr euch nicht in den Weg kommt). Wenn möglich, wäre es gut, wenn jeder und jede einen Korb oder eine Tasche hat mit allen Utensilien, die er oder sie für seine oder ihre Arbeit braucht – sowohl Erwachsene wie auch die Kinder. So kann alles schneller verstaut werden, falls ihr am Küchentisch arbeitet und schneller hervorgeholt werden, wenn gearbeitet wird.

MACHT EINE TO-DO LISTE

Schreibt abends alles auf eine Liste, was bis zu eurer Schlafenszeit am nächsten Tag gemacht werden muss. Nicht: „Es wäre schön, falls…“ Nein, alles, was absolut gemacht werden muss. Seht die Liste dann am Morgen noch einmal an und ergänzt, falls nötig. Schreibt auch kleine Details auf: „9 Uhr: Pouletbrust aus der Gefriertruhe nehmen.“ Es gibt nichts Schlimmeres, als um 12 Uhr zu merken, dass das Mittagessen noch gefroren ist. Nehmt euch jeweils sonntags Zeit, einen Menüplan für die Woche zu machen. Ihr könnt das auch als Familie machen, und jeder kann 2-3 Lieblingsmahlzeiten vorschlagen. Es gibt für mich nichts Stressigeres als um 10 Uhr, dann um 11 Uhr und schliesslich um 12 Uhr immer noch nicht zu wissen, was ich jetzt kochen soll. Roman, 42, homeschoolender Vater zweier Kinder sagt: „Bereitet euch gut vor, dann könnt ihr flexibel handeln.“

ROUTINE

Erarbeitet zusammen eine Routine, die euch durch diese Zeit hindurch hilft. Es muss kein strikter Plan sein, denn der frustriert schliesslich nur. Eine Routine gibt Struktur, ist aber auch flexibel. Macht zusammen ab, wer wann aufsteht und was nach dem Frühstück von wem erwartet wird. Kristina, 37, Mutter von zwei Kindern (5 und 8 Jahre) sagt: „Es hilft, wenn immer zur gleichen Zeit gleich lang gearbeitet wird. Bei uns ist das von 9 bis 11 Uhr. Und wenn auch ganz klar ist, was vorher und was nachher passiert. Es sollte auch klar sein, wann Mama (oder Papa) ansprechbar ist und wann nicht.“ Wenn möglich, plant auch Zeiten ein, in denen die Kinder draussen im Garten spielen oder die Teenager joggen gehen. In dieser Zeit könnt ihr hoffentlich ungestört arbeiten. Nina, 37, und Mutter von vier Kindern (9, 9, 7 und 4), bestätigt, dass eine Struktur unheimlich wichtig ist. Ihr Tipp: „Sich Zeit nehmen, um sich eine Struktur zu überlegen, welche für einen stimmt, z.B. immer am Abend den nächsten Tag vorbereiten oder immer am Sonntag die nächste Woche vorbereiten, usw.“

DER HAUSHALT

Der Haushalt muss gemacht werden, aber muss in dieser Zeit bei weitem nicht perfekt sein. Konzentriert euch täglich auf das Kochen und vielleicht noch die Wäsche (einen Waschgang frühmorgens und gut ist). Putzen könnt ihr in einer Pause zusammen machen oder auch alle gemeinsam am Samstag Morgen. Etwas gute Musik laufen lassen, und ihr werdet sehen, das geht gar nicht so lange. Evtl. ist jetzt gerade nicht die Zeit für einen Frühlingsputz, ausser ihr habt die Energie dazu und es tut euch gut!

LERNZEITEN

Die meisten arbeitenden Homeschool-Eltern coachen ihre Kinder während nicht mehr als vier Stunden pro Tag in strukturierten Lernzeiten. Entweder morgens von 8.30 bis 12 Uhr (mit Pausen) oder während kürzeren Zeiten am Vormittag, dafür auch noch während einer kurzen Lernzeit am Nachmittag. Seid flexibel und achtet auf die Aufmerksamkeitsspanne eurer Kinder. „Man muss herausfinden, in welchen Zeiteinheiten das Kind produktiv ist,“ sagt Kristina. „Wir haben 20-Minuten-Einheiten. Selten und bei spannenden Sachen sind es 30 oder sogar 40 Minuten. Danach gibt es eine kurze Pause: meist kurz in die Hängematte hängen oder zackig schnell aufs Trampolin. Ich plane die selbstständig zu erledigenden Aufgaben auch in solchen Einheiten. Diese kleinen Pausen halten die Motivation aufrecht.“

Kristinas 20-Minuten-Kärtchen / Quelle: http://www.swisshomeschoolfamily.org

Falls eure Schule mehr von euch verlangt, und das Kind Mühe hat, diese Aufgaben selbständig zu erledigen und euch immer wieder braucht, redet mit der Lehrperson, oder wenn nötig, mit der Schulleitung. Stress und Druck ist jetzt in dieser schwierigen Situation nicht angemessen. Wehrt euch dagegen! Bleibt freundlich, denn auch die Lehrpersonen wurden für eine solche Situation nicht geschult. Aber drückt eure Frustration aus und gebt den Lehrpersonen ehrliche Rückmeldungen. Roman sagt dazu: „Vermeidet wann immer möglich, dass unter Zwang gelernt wird. Denn Zwang blockiert das Kind. Dann wird auch nichts in seinen Kopf gehen.“ Nichts in dieser Welt läuft momentan „normal“, warum sollte also die Bildung der Kinder „normal“ weiterlaufen? Eure Kinder werden in dieser Zeit viel Neues lernen und das sieht sicher anders aus als vorher, aber das ist in Ordnung. Wir geben ja alle unser Bestes in ungewöhnlich schwierigen Umständen – und das ist gut genug.

RHYTHMISIEREN

Verlangt nicht von euren Kindern, stundenlang am Tisch zu sitzen und hintereinander Mathematik, Deutsch, Franz und NMG zu üben. Sagt Kristina: „Rhythmisieren ist auch bei Homeschooling sehr wichtig – also sehr abwechslunsreiche Einheiten zusammen stellen. Mathe, dann Bewegung, dann Deutsch, dann Pause, dann was zu zweit… So bleibt die Lerneinheit abwechslungsreich und spricht verschiedene Sinne an.“

BEWEGUNG UND FLEXIBILITÄT

Kinder brauchen viel Bewegung, das wissen wir alle. Sie können aber auch beim Bewegen lernen. „Lesen und laufen, 1×1 mit Klatschen üben,“ schlägt Kristina vor. „Auch wenn die Mama nicht da ist, da sie arbeitet, kann sie ja vorgängig zu jeder Aufgabe einen Ort schreiben. Lesen auf der Treppe, Mathe am Boden…, so wie es dem Kind auch gefällt. Oder man merkt, dass am Pult am besten gelernt wird, dann macht man es halt da und baut sonst kleine Bewegungen mit ein.“ Roman meint: „Versucht verschiedene Lernwege. Man kann alles auf unterschiedliche Arten lernen. Man kann im Tagesverlauf lernen, man kann draussen lernen, man kann während dem Spazieren lernen, im Wald… Man kann überall alles machen: rechnen, Physik,… Probiert es möglichst kreativ umzusetzen. Wenn ein Kind sieht, wie etwas funktioniert, ist es oftmals einfacher, als wenn es nur die trockene Materie hat.“

EIGENVERANTWORTUNG

Dies ist eine schwierige und unsichere Zeit für die Kinder, und sie sind es nicht gewöhnt, eigenverantwortlich und selbständig ihre Aufgaben zu erledigen. Das muss erst gelernt werden! Homeschool-Eltern nehmen sich am Anfang genug Zeit, um sicher zu sein, dass das Kind die Aufgabe begreift und weiss, woran es in den nächsten Minuten arbeiten muss. Macht zusammen eine Vereinbarung: „Du weisst jetzt, was du machen musst. Ich muss jetzt telefonieren. Du arbeitest an deiner Aufgabe, bis du sie fertig hast und versuchst dann, ob du die nächste Aufgabe auch machen kannst. Wenn nicht, kannst du in die Küche gehen und ein Glas Wasser trinken. Du sollst mich aber nicht stören, bis ich mit dem Telefonieren fertig bin. Danach schauen wir zusammen, was du sonst noch machen musst. Abgemacht?“

ARBEITSZEIT

Arbeitende Homeschool-Eltern wissen die frühen Morgenstunden zu schätzen, ehe die Kinder wach sind. Ich persönlich erledige meine Arbeiten nach dem Abendessen oder auch am Wochenende, wenn die Kinder freie Zeit zur Verfügung haben. Falls das für euch auch infrage kommt, macht mit den Kindern ab, dass sie euch nur stören dürfen, wenn es wirklich dringend ist. Natürlich könnt ihr euch auch mit eurem Partner in der Verantwortung für die Kinder abwechseln. Vielleicht steht einer von euch ja gerne früh morgens auf und arbeitet einfach mal solide von 6 bis 12. Danach ist dann der andere Partner dran, während der erste sich um die Kinder kümmert. Macht euch aber keinen unnötigen Stress und haltet die Zeit vor dem Abendessen und vor dem Insbettgehen der Kinder frei von Arbeit. Während diesen Zeiten läuft meistens eher viel und braucht es wohl beide Elternteile. Auch kann ein Elternteil vielleicht gut am Wochenende arbeiten, während der andere sich um die Kinder kümmert. Passt aber auf, dass ihr nicht konstant den Druck verspürt arbeiten zu müssen! Setzt euch klare Arbeitszeiten und haltet euch daran! Auch ihr werdet unter diesen besonderen Umständen nicht wie normal eure acht Stunden arbeiten können. Ihr gebt aber euer Bestes – und das ist genug!

ARBEITSDAUER

Es ist ziemlich unrealistisch, wenn ihr alle zu Hause seid und die Kinder in ihren Schulaufgaben betreuen sollt, dass ihr mehrere Stunden am Stück arbeiten könnt. Plant eher mehrere kürzere Arbeitszeiten ein, von maximal 1 1/2 Stunden, und macht dann zusammen eine Pause. Auf diese Weise wissen eure Kinder, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, ehe ihr wieder ansprechbar seid. Auch seid ihr eher ermutigt, wenn ihr mal 1 1/2 Stunden arbeiten konntet, als wenn ihr im Laufe von mehreren Stunden immer wieder gestört wurdet.

NETZWERK

Vielleicht könnt ihr euch als Familien in der Nachbarschaft zusammen tun. Ein Elternteil betreut nicht mehr als fünf Kinder, während die Eltern in der anderen Familie arbeiten können. Am nächsten Tag oder am Nachmittag wird abgewechselt. Dieses Modell wird hier beschrieben.

PERSÖNLICHE ZEIT

Die Lösung, wie ihr alle diese Sachen unter einen Hut kriegt, ist, nicht damit aufzuhören, ihr selbst zu sein. Ihr seid nicht nur Mutter, Vater, ArbeitnehmerIn, ArbeitgeberIn oder Lerncoach. Ihr seid auch immer noch ihr selbst. Ihr seid auch immer noch Tochter, Sohn, Freundin, Freund. Wenn ihr unglücklich seid, seid ihr weniger produktiv. Macht mit eurem Partner und den Kindern ab, dass ihr immer noch Zeit für euch selber braucht. Geht joggen oder spazieren, macht eine Velofahrt oder schliesst euch ins Schlafzimmer ein, um eine halbe Stunde in einem guten Buch zu lesen. Macht eine gemeinsame Ruhezeit nach dem Mittagessen: jeder für sich in seinem/ihrem Zimmer. Das könnte der Schlüssel sein, den ihr unbedingt braucht, um diese Corona-Zeit psychisch zu überleben! Dazu Ninas Tipp: „Wenn man arbeitet, braucht es solche kleinen Frei- und Alleinsein-Zeiten genauso dringend. Also unbedingt Puffer einplanen – die gehören dann halt zur Arbeitszeit dazu!“ Nehmt euch auch die Zeit, bei den Grosseltern anzurufen, mit den Kindern, aber auch mal alleine, oder auch die Freundin, die euch immer wieder ermutigen kann.

PAUSENTAG

Wenn gar nichts mehr funktioniert, die Kinder sich weigern, ihr euch gar nicht mehr auf eure Arbeit konzentrieren könnt und die Nerven blank liegen vor lauter Mangel an Sozialkontakten und evtl. Bewegung (alle Trainings der Kinder fallen ja auch aus), dann erlaubt den Kindern (oder euch allen?!) einen Pausentag, schlägt Kristina vor. „Oft reguliert ein Tag Pause ganz viel. Vielleicht braucht es diesen Pausentag grad an einem Arbeitstag vom Mami. So kann das Mami konzentriert arbeiten, und die Kinder haben dann wieder mehr Elan, am nächsten Tag zügig an den Schulsachen dran zu bleiben.“ Auch Evelin sieht das ähnlich: „Wenn nichts mehr geht, BEVOR eine Krise auftritt, lasst alles ruhen, seht eine Doku, macht Scratch, spielt Schach, etc., um dann wieder einzusteigen.“

REFLEKTIEREN UND FRISTEN SETZEN

Wenn ihr eure Struktur eine Woche lang ausprobiert habt, ist es Zeit darüber zu reflektieren, was gut geklappt hat und was wie geändert werden muss. Dazu Ninas Tipp: „Sich am Anfang „Fristen“ setzen – mal eine Woche planen und auch wenn nicht alles rund läuft, sich an den Plan halten. Nach der Woche Bilanz ziehen und anpassen, was nicht geklappt hat. Das verhindert, dass man ständig umdisponiert und dann noch mehr ins Schwimmen kommt. Für mich ist es auch wichtig, mir den Raum zu geben um zu sehen, was funktioniert und was nicht – ich würde gerne alles perfekt planen, aber das geht ja bekanntlich mit Kindern nicht .“

EUER GEWISSEN

Sehr wahrscheinlich werdet ihr in dieser Zeit manchmal von einem schlechten Gewissen geplagt – gegenüber euren Kindern, gegenüber eurem Arbeitgeber, vielleicht sogar gegenüber eurem Partner. Ihr müsst euch bewusst sein, dass ihr einfach nicht alles perfekt tun könnt. Vielleicht hast du das Gefühl, dass du alles auf die Reihe bringen solltest und du nicht dein Bestes gibst. Dem ist aber nicht so. Du machst das alles grossartig! Vergiss die Schuldgefühle und dein schlechtes Gewissen und akzeptiere die Tatsache, dass du das Beste aus der Situation machst und du dein Bestes gibst – für deine Kinder und für deinen Arbeitgeber. Und das ist alles, was du tun kannst. Und das ist genug.


Zuerst erschienen auf http://www.swisshomeschoolfamily.org